BGH, Beschluss vom 30. Juli 2025 - XII ZB 207/25

22.09.2025

BUNDESGERICHTSHOF

vom

30. Juli 2025

in der Unterbringungssache


Nachschlagewerk: ja


BGHZ: nein

BGHR: ja


BGB § 1831 Abs. 1; FamFG §§ 30 Abs. 1 und 2, 321 Abs. 1; ZPO § 411 a


a) Maßgeblich für die Verwertbarkeit eines in einem anderen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachtens nach § 411 a ZPO ist, dass dieses auf gerichtliche Anordnung erstellt worden ist.

b) Die Verwertung eines in einem anderen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachtens ist nur dann zulässig, wenn es entsprechend § 411 a ZPO in das Verfahren eingeführt und dem Betroffenen Gelegenheit gegeben worden ist, zu den Ausführungen des zu verwertenden Gutachtens in dem vorliegenden Verfahren Stellung zu nehmen. Beabsichtigt das Gericht, von der Möglichkeit des § 411 a ZPO Gebrauch zu machen, muss es den Beteiligten vor der Anordnung der Verwertung des Gutachtens rechtliches Gehör gewähren (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7. Februar 2024 ­ XII ZB 130/23 ­ FamRZ 2024, 888 und vom 8. Juli 2020 - XII ZB 68/20 - FamRZ 2020, 1677).

c) Der Fristablauf für die zulässige Zeit der zu genehmigenden Unterbringung hat sich grundsätzlich an dem Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens zu orientieren (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 15. Januar 2025 ­ XII ZB 517/24 ­ FamRZ 2025, 812).


BGH, Beschluss vom 30. Juli 2025 - XII ZB 207/25 - LG Amberg, AG Amberg


Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Juli 2025 durch den Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Dr. Günter und Dr. Nedden-Boeger und die Richterinnen Dr. Pernice und Dr. Recknagel

beschlossen:

Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Amberg vom 3. April 2025 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels aufgehoben, soweit ihre Beschwerde gegen die vom Amtsgericht Amberg mit Beschluss vom 7. Februar 2025 ausgesprochene Genehmigung der Unterbringung durch den Betreuer über den 13. Januar 2026 hinaus zurückgewiesen worden ist.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Die Staatskasse hat der Betroffenen ein Viertel ihrer im Rechtsbeschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten (§ 337 Abs. 1 FamFG). Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Eine Wertfestsetzung (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.

Gründe:

[1] I. Die Betroffene wendet sich gegen die gerichtliche Genehmigung ihrer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und anschließend in einer beschützenden Abteilung einer soziotherapeutischen Einrichtung.

[2] Die im Jahr 1975 geborene Betroffene leidet an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie. Sie setzte die ihr verordnete Medikation in der Vergangenheit eigenmächtig ab, nahm dann zu wenig Nahrung zu sich und bewegte sich wiederholt ohne Beachtung anderer Verkehrsteilnehmer im Straßenverkehr.

[3] Das Amtsgericht genehmigte deshalb im Dezember 2024 vorläufig die Unterbringung der Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus bis 17. Januar 2025 und ordnete am 8. Januar 2025 zur Vorbereitung der Entscheidung in der Hauptsache die Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen einer freiheitsentziehenden Unterbringung an. Nachdem die Betroffene am 9. Januar 2025 auf eine offene Station verlegt worden war und die Betreuerin den zuvor gestellten Antrag auf Unterbringung der Betroffenen zurückgenommen hatte, hob das Amtsgericht am 13. Januar 2025 die Anordnung der Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens und am 14. Januar 2025 auch die Genehmigung der vorläufigen Unterbringung der Betroffenen auf und stellte das Unterbringungsverfahren ein. Am 15. Januar 2025 legte der Sachverständige sein auf den 13. Januar 2025 datierendes Gutachten vor.

[4] Auf den daraufhin von der Betreuerin erneut gestellten Unterbringungsantrag genehmigte das Amtsgericht die vorläufige Unterbringung der Betroffenen bis längstens 28. Februar 2025. Zudem hat es das Sachverständigengutachten an alle Beteiligten übersandt. Nach Anhörung der Betroffenen hat das Amtsgericht deren Unterbringung in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis 7. Mai 2025 und im Anschluss in einer beschützenden Abteilung einer soziotherapeutischen Einrichtung bis längstens 7. Februar 2026 genehmigt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen ist erfolglos geblieben. Hiergegen wendet sich die Betroffene mit ihrer Rechtsbeschwerde.

[5] II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg, soweit sie sich gegen die Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen über den 13. Januar 2026 hinaus richtet, und ist im Übrigen unbegründet.

[6] 1. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Unterbringung der Betroffenen sei wegen deren psychischer Erkrankung und der dadurch bedingten erheblichen Selbstgefährdung sowie zur Durchführung einer Heilbehandlung erforderlich. Die Betroffene sei nicht krankheitseinsichtig. Wie die bisherigen Erfahrungen gezeigt hätten und auch aus der Anhörung der Betroffenen, der Einschätzung der früheren Betreuerin und der Verfahrenspflegerin sowie dem Sachverständigengutachten folge, bestehe ohne den beschützenden Rahmen einer Unterbringung die Gefahr, dass die Betroffene die erforderliche Medikation absetze und sich ihr Gesundheitszustand hierdurch irreversibel verschlechtere, sie ziellos auf öffentlichen Straßen ohne Beachtung des Verkehrs herumirre, sich nur unzureichend mit Essen und Trinken versorge, verwahrlose und obdachlos werde. Auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens sei davon auszugehen, dass eine geschlossene Unterbringung für die Dauer eines Jahres erforderlich sei.

[7] 2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung im Wesentlichen stand. Die getroffenen Feststellungen tragen die Genehmigung der Unterbringung der Betroffenen nach § 1831 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB allerdings nur bis zum 13. Januar 2026.

[8] a) Die von der Rechtsbeschwerde gegen die Verwertung des Sachverständigengutachtens vom 13. Januar 2025 erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch.

[9] aa) Gemäß §§ 30 Abs. 2, 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG hat das Gericht vor einer Unterbringungsmaßnahme eine förmliche Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens über die Notwendigkeit der Maßnahme durchzuführen. Wegen der gesetzlich angeordneten Förmlichkeit der Beweisaufnahme kann ein in einem anderen Verfahren eingeholtes Sachverständigengutachten dabei nur dann verwertet werden, wenn es entsprechend § 411 a ZPO in das Verfahren eingeführt und dem Betroffenen Gelegenheit gegeben worden ist, zu den Ausführungen des zu verwertenden Gutachtens in dem vorliegenden Verfahren Stellung zu nehmen. Beabsichtigt das Gericht, von der Möglichkeit des § 411 a ZPO Gebrauch zu machen, muss es den Beteiligten vor der Anordnung der Verwertung rechtliches Gehör gewähren (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7. Februar 2024 ­ XII ZB 130/23 ­ FamRZ 2024, 888 Rn. 24 mwN und vom 8. Juli 2020 ­ XII ZB 68/20 ­ FamRZ 2020, 1677 Rn. 13 mwN, jeweils zum Betreuungsverfahren).

[10] bb) Diesen Vorgaben wird das vorliegende Verfahren gerecht.

[11] (1) Bei dem vom Amtsgericht bei seiner Entscheidung verwerteten Sachverständigengutachten vom 13. Januar 2025 handelt es sich entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde um ein gerichtlich eingeholtes Sachverständigengutachten iSd § 411 a ZPO, das einer Verwertung im Rahmen der nach §§ 30 Abs. 2, 321 Abs. 1 Satz 1 FamFG gebotenen förmlichen Beweisaufnahme zugänglich war.

[12] Eine solche Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens über die Notwendigkeit der Unterbringung kann gemäß § 30 Abs. 1 FamFG iVm § 411 a ZPO nur durch die Verwertung eines gerichtlich oder staatsanwaltschaftlich eingeholten Sachverständigengutachtens aus einem anderen Verfahren ersetzt werden. Maßgeblich ist dabei für die Verwertbarkeit des Gutachtens, dass es auf gerichtliche (oder staatsanwaltschaftliche) Anordnung erstellt worden ist. Denn hierdurch ist gewährleistet, dass der Sachverständige neutral ausgewählt wurde und bei Erstellung des Gutachtens richterlicher Anleitung unterlag (vgl. Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO 5. Aufl. § 411 a Rn. 11 mwN), so dass das zu verwertende Gutachten einem im Verfahren nach §§ 402 ff. ZPO eingeholten Sachverständigengutachten gleichwertig ist.

[13] Das vom Amtsgericht bei der Unterbringungsentscheidung verwertete Sachverständigengutachten vom 13. Januar 2025 entspricht diesen Anforderungen. Es wurde auf die gerichtliche Beweisanordnung vom 8. Januar 2025 erstellt und dem Amtsgericht zur Beantwortung der von ihm an den Sachverständigen gerichteten Beweisfragen vorgelegt. Dass das Gutachten an demselben Tag erstellt wurde, an dem das Amtsgericht den zugrundeliegenden Beweisbeschluss aufgehoben hat, und es erst nach Aufhebung des Beweisbeschlusses und Einstellung des Unterbringungsverfahrens zu den Akten gelangt ist, rechtfertigt keine andere Betrachtung, weil dies dessen Gleichwertigkeit zu einem im Verfahren nach §§ 402 ff. ZPO eingeholten Sachverständigengutachten nicht in Zweifel zieht.

[14] (2) Die Rechtsbeschwerde rügt zu Unrecht, dass es an einem Beschluss zur Einführung des Sachverständigengutachtens in das vorliegende Verfahren und zur Verwertung des Gutachtens fehlt. Unter den hier gegebenen Umständen hat das amtsgerichtliche Vorgehen den verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Verwertung eines in einem anderen Verfahren eingeholten Sachverständigengutachtens entsprechend § 411a ZPO (vgl. Senatsbeschlüsse vom 7. Februar 2024 ­ XII ZB 130/23 ­ FamRZ 2024, 888 Rn. 24 mwN und vom 8. Juli 2020 ­ XII ZB 68/20 - FamRZ 2020, 1677 Rn. 13 mwN zum Betreuungsverfahren) noch genügt. Denn nachdem die Einholung des Gutachtens zu den auch im vorliegenden Unterbringungsverfahren maßgeblichen Beweisfragen erst wenige Tage zuvor angeordnet worden war, das dem zugrunde liegende Unterbringungsverfahren wegen einer zwischenzeitlichen kurzzeitig veränderten Sachlage eingestellt worden war, das Amtsgericht nach Vorlage des Gutachtens jedoch erneut die vorläufige Unterbringung der Betroffenen angeordnet und im Hauptsacheverfahren einen Anhörungstermin bestimmt hatte und das Sachverständigengutachten zur Beantwortung der sich erneut in gleicher Weise stellenden Beweisfragen ohne Weiteres geeignet war, konnten die Verfahrensbeteiligten die Übersendung des Gutachtens nur dahin verstehen, dass dieses im vorliegenden Unterbringungsverfahren verwertet werden soll.

[15] Mit der Übersendung des Sachverständigengutachtens und der hiermit konkludent erfolgten Einführung in das erneut eröffnete Unterbringungsverfahren hat das Amtsgericht überdies sämtlichen Beteiligten Gelegenheit gegeben, sich rechtzeitig vor der Anhörung am 5. Februar 2025 mit dem Gutachten auseinanderzusetzen und hierzu vor der Anhörung oder im Anhörungstermin Stellung zu nehmen.

[16] b) Die von der Rechtsbeschwerde erhobene Verfahrensrüge, wonach das Beschwerdegericht die Betroffene erneut hätte anhören müssen, greift ebenfalls nicht durch.

[17] aa) Gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG kann das Beschwerdegericht auch in einem Unterbringungsverfahren von der Durchführung der gemäß § 319 FamFG vorgesehenen persönlichen Anhörung des Betroffenen absehen. Ein solches Vorgehen setzt jedoch nach ständiger Rechtsprechung des Senats voraus, dass die Anhörung bereits im ersten Rechtszug ohne Verletzung von zwingenden Verfahrensvorschriften vorgenommen worden ist und von einer erneuten Anhörung keine neuen Erkenntnisse zu erwarten sind (vgl. Senatsbeschlüsse vom 11. Dezember 2024 ­ XII ZB 251/24 ­ FamRZ 2025, 625 Rn. 6 zu [§ 278 FamFG] und vom 7. Dezember 2016 ­ XII ZB 32/16 ­ FamRZ 2017, 477 Rn. 6 mwN).

[18] bb) Hieran gemessen begegnet es keinen durchgreifenden Bedenken, dass das Beschwerdegericht von einer Anhörung der Betroffenen abgesehen hat. Das Amtsgericht hat die Betroffene nach Übersendung des Sachverständigengutachtens in Anwesenheit der Betreuerin und der Verfahrenspflegerin persönlich angehört. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde begründet es auch keine Verletzung von zwingendem Verfahrensrecht, dass das Amtsgericht die Betroffene nicht vor oder im Rahmen der Anhörung über das zuvor mit der behandelnden Ärztin geführte Gespräch informiert hat. Dem Vorgespräch mit der behandelnden Ärztin kam, wie auch die Gründe der amtsgerichtlichen Entscheidung belegen, für die Unterbringungsentscheidung keine Bedeutung zu. Die fehlende Krankheitseinsicht der Betroffenen und deren fehlende Bereitschaft, die verordnete Medikation einzunehmen, waren ausweislich des Anhörungsvermerks Gegenstand der persönlichen Anhörung der Betroffenen und wurden durch deren eigene Äußerungen in der Anhörung deutlich dokumentiert, worauf das Amtsgericht wesentlich abgestellt hat.

[19] c) Die Rechtsbeschwerde beanstandet indes zu Recht, dass sich der Fristablauf für die zulässige Zeit der zu genehmigenden Unterbringung grundsätzlich an dem Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens zu orientieren hat und die Frist nicht erst mit der gerichtlichen Entscheidung beginnt (vgl. Senatsbeschluss vom 15. Januar 2025 ­ XII ZB 517/24 ­ FamRZ 2025, 812 Rn. 10 mwN). Da das Sachverständigengutachten, auf das das Amts- und das Beschwerdegericht ihre Entscheidungen gestützt haben, am 13. Januar 2025 erstellt wurde, kann in Ermangelung anderweitiger Feststellungen die Unterbringung der Betroffenen derzeit nur bis zum 13. Januar 2026 genehmigt werden. Der Senat kann insoweit selbst entscheiden, weil alle erforderlichen Feststellungen getroffen sind (§ 74 Abs. 6 Satz 1 FamFG).

[20] 3. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Guhling Günter RiBGH Dr. Nedden-Boeger

ist wegen Urlaubs an der

Signatur gehindert.

Guhling

Pernice Recknagel

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