BGH, Urteil vom 24. Juni 2025 - VI ZR 204/23
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
Verkündet am:
24. Juni 2025
Böhringer-MangoldJustizamtsinspektorinals Urkundsbeamtinder Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 253 Abs. 2 Nr. 2, § 287 Abs. 1
a) Im Hinblick auf die dem Tatrichter bei der Bemessung der Schadenshöhe gemäß § 287 Abs. 1 ZPO zustehenden Freiheiten genügt es den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn der Kläger die Höhe des von ihm geforderten Ersatzes materiellen Schadens in das Ermessen des Gerichts stellt, zugleich aber einen Mindestbetrag sowie die tatsächlichen Grundlagen für die Schadensschätzung angibt.
ZPO § 264 Nr. 2, § 524
b) Einem Kläger, der mit einem von zwei Sachanträgen voll obsiegt hat und mit dem anderen unterlegen ist, ist wegen der in der Abweisung liegenden Beschwer die Berufungsinstanz eröffnet, dies zwar zu dem Zweck, um sich gegen die Abweisung zu wehren, aber mit der Folge, dass er auch den zuerkannten Anspruch erweitern kann.
ZPO § 256 Abs. 1
c) Begehrt eine Partei gemäß § 256 ZPO die Feststellung, es handele sich bei einer Forderung um eine Verbindlichkeit aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, ist Streitgegenstand die Frage, ob ein entsprechendes Rechtsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner besteht. Das Gericht muss dann klären, ob dem Gläubiger ein materiell-rechtlicher Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung zusteht. Es kann sich nicht darauf beschränken zu prüfen, ob der Schuldner im Hinblick auf die geltend gemachte Forderung vorsätzlich gehandelt hat.
BGH, Urteil vom 24. Juni 2025 - VI ZR 204/23 - OLG Naumburg, LG Halle
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung vom 6. Mai 2025 durch den Vorsitzenden Richter Seiters, die Richterin von Pentz, die Richter Dr. Klein und Böhm sowie die Richterin Dr. Linder
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger sowie die Anschlussrevision des Beklagten wird das Urteil des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Naumburg vom 25. Mai 2023 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 6. Juli 2023 aufgehoben. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsrechtszuges, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
[1] Die Kläger nehmen den Beklagten auf Ersatz von Unterhaltsschaden (§ 844 Abs. 2 BGB) sowie auf Feststellung, dass diese Verbindlichkeiten solche aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung sind, in Anspruch.
[2] Der Kläger zu 1 war der Ehemann der im Jahr 1979 geborenen und am 26. Februar 2018 verstorbenen M. Der Kläger zu 2 ist deren im Jahr 2004 geborenes gemeinsames Kind. Der früher als Arzt tätige Beklagte wurde mit rechtskräftigem Strafurteil der vorsätzlichen Körperverletzung mit Todesfolge in Tateinheit mit leichtfertigem Verursachen des Todes einer Person durch die Verabreichung von Betäubungsmitteln schuldig gesprochen, weil er der M. während des gemeinsam vollzogenen Geschlechtsverkehrs in seiner Wohnung am 20. Februar 2018 ohne deren Wissen auf nicht geklärtem Weg Kokain und andere Substanzen verabreichte, so dass die M. einige Tage später an den Folgen eines Herzkreislaufstillstandes im Krankenhaus verstarb. Wegen dieser Tat und weiterer Taten zum Nachteil anderer Sexualpartnerinnen wurde der Beklagte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt.
[3] In einem früheren Verfahren haben die Kläger den Beklagten bereits erfolgreich auf Zahlung von Hinterbliebenengeld, Ersatz der Beerdigungskosten und hierauf bezogene Feststellung des Rechtsgrundes der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung in Anspruch genommen.
[4] Im vorliegenden Verfahren hat das Landgericht die in erster Instanz noch beantragte Feststellung, dass der Beklagte zur Entrichtung einer Geldrente verpflichtet ist, ausgesprochen und die Klage im Übrigen, d.h. hinsichtlich der begehrten Feststellung des Rechtsgrundes der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, abgewiesen. Im Berufungsverfahren haben die Kläger ihre Anträge hinsichtlich des Unterhaltsschadens auf Leistungsanträge umgestellt. Sie begehren nun Zahlung einer monatlichen Geldrente, deren Höhe sie in das Ermessen des Gerichts gestellt haben, die beim Kläger zu 1 jedoch mindestens 500 €, beim Kläger zu 2 mindestens 400 € betragen soll. Das Oberlandesgericht hat die Entscheidung des Landgerichts auf die Berufungen der Parteien jeweils abgeändert. Auf die Berufung der Kläger hat es die begehrte Feststellung des Rechtsgrundes der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung ausgesprochen, auf die Berufung des Beklagten die Zahlungsanträge hinsichtlich des Unterhaltsschadens als unzulässig abgewiesen.
[5] Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre Leistungsanträge hinsichtlich des Unterhaltsschadens weiter. Mit seiner Anschlussrevision begehrt der Beklagte hinsichtlich der Feststellung des Rechtsgrundes der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung die Wiederherstellung des - insoweit klagabweisenden - erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
A.
[6] Nach Auffassung des Berufungsgerichts haben die Kläger ihre Klage hinsichtlich des geltend gemachten Unterhaltsschadens zwar im Wege einer sachdienlichen Klageerweiterung zulässig von der erstinstanzlich begehrten Feststellung auf Leistungsanträge umgestellt. Doch seien die Leistungsanträge selbst unbestimmt, weshalb die Klage insoweit als unzulässig abzuweisen sei. Denn die Leistungsanträge beinhalteten weder die konkrete Angabe einer Geldsumme noch die Angabe einer Größenordnung. Die Bemessung der Höhe einer Unterhaltsrente sei jedoch nicht in das gerichtliche Ermessen gestellt, auch bleibe für einen unbezifferten Zahlungsantrag bei einer Klage auf materiellen Schadensersatz kein Raum.
[7] Auch für eine Schätzung nach § 287 ZPO hat das Berufungsgericht keinen Raum gesehen. Die Kläger hätten es trotz gerichtlichen Hinweises nicht vermocht, ausreichend zu den tatsächlichen Umständen der Lebensgestaltung, zu den Einkommens- und Vermögensverhältnissen sowie zur Aufteilung der Haushaltsführung sowie der sonstigen Aufgaben in der Familie der Kläger vorzutragen. Dem (unstreitigen) Vortrag der Kläger lasse sich nicht entnehmen, aus welchen Umständen sich die geforderten Mindestbeträge zusammensetzen sollten.
[8] Selbst wenn man - hypothetisch - die Leistungsanträge für hinreichend bestimmt hielte, hätten sie in der Sache keinen Erfolg. Denn auch insoweit fehle es an einem substantiierten Vortrag der Kläger zu dem Bestehen einer gesetzlichen Unterhaltspflicht der M. gegenüber dem Kläger zu 1 und dazu, ob und in welchem Umfang dem Kläger zu 2 durch den Tod der Mutter eine unterhaltspflichtige Person genommen worden sei.
[9] Dagegen habe die auf Feststellung des Rechtsgrundes der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung gerichtete eigene Berufung der Kläger Erfolg. Der Beklagte hafte den Klägern aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 227 StGB. Die Vorsatz-Fahrlässigkeits-Kombination der vom Beklagten begangenen vorsätzlichen Körperverletzung mit fahrlässiger Todesfolge reiche für einen auf § 850f Abs. 2 ZPO gestützten Feststellungsantrag aus.
B.
[10] Diese Ausführungen halten der rechtlichen Prüfung insgesamt nicht stand. Sowohl die Revision der Kläger (I.) als auch die Anschlussrevision des Beklagten (II.) haben Erfolg.
[11] I. Das Berufungsgericht hat die Anträge der Kläger auf Zahlung einer Unterhaltsrente zu Unrecht für unzulässig gehalten.
[12] 1. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die zuletzt gestellten Leistungsanträge der Kläger seien zu unbestimmt und genügten den nach § 253 ZPO an einen Klageantrag zu stellenden Anforderungen nicht, ist nicht frei von Rechtsfehlern.
[13] a) Zu Unrecht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass für einen unbezifferten Zahlungsantrag, der die Höhe des zuzusprechenden Geldbetrags in das Ermessen des Gerichts stelle, bei einer Klage auf materiellen Schadensersatz grundsätzlich kein Raum bleibe. Diese prinzipielle Ablehnung eines unbezifferten Antrags beim materiellen Schadensersatz verkennt, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Hinblick auf die dem Tatrichter bei der Bemessung der Schadenshöhe gemäß § 287 Abs. 1 ZPO zustehenden Freiheiten den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO genügt, wenn der Kläger die Höhe des von ihm geforderten Ersatzes materiellen Schadens in das Ermessen des Gerichts stellt, zugleich aber einen Mindestbetrag sowie die tatsächlichen Grundlagen für die Schadensschätzung angibt (vgl. Senat, Urteile vom 6. Juli 2021 - VI ZR 40/20, BGHZ 230, 224 Rn. 10 zum Minderwert bei unzulässiger Abschalteinrichtung; vom 13. Oktober 1981 - VI ZR 162/80, NJW 1982, 340, juris Rn. 6 ff. zum merkantilen Minderwert eines Unfallwagens; vom 4. November 1969 - VI ZR 85/68, NJW 1970, 281, juris Rn. 8 ff. zum Nutzungsausfallschaden; BGH, Urteile vom 28. Oktober 1998 - XII ZR 255/96, NJW 1999, 353, juris Rn. 11 zur ehebedingten Zuwendung; vom 24. April 1975 - III ZR 7/73, MDR 1975, 599, juris Rn. 30 zur Enteignungsentschädigung; vom 13. Dezember 1951 - III ZR 144/50, BGHZ 4, 138, 142, juris Rn. 7 zum Verdienstausfallschaden; aA Zöller/Greger, ZPO, 35. Aufl., § 253 Rn. 14a). Nichts anderes kann für die Beantragung einer Geldrente zum Ersatz eines Unterhaltsschadens nach § 844 Abs. 2 BGB gelten, für die ebenfalls der Maßstab des § 287 ZPO greift (vgl. hierzu Senat, Urteile vom 5. Juni 2012 - VI ZR 122/11, NJW 2012, 2887 Rn. 4; vom 2. Dezember 1997 - VI ZR 142/96, NJW 1998, 985, juris Rn. 23 [in BGHZ 137, 237 nicht abgedruckt]; vom 24. April 1990 - VI ZR 183/89, NZV 1990, 307, juris Rn. 11).
[14] b) Soweit das Berufungsgericht ergänzend auch für eine Schätzung nach § 287 ZPO keinen Raum gesehen hat, weil die Kläger nur ungenügend zu den tatsächlichen Umständen in der Familie der Kläger vor dem Tod der M. vorgetragen hätten, rügt die Revision zu Recht, dass sich das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft nicht hinreichend mit dem gehaltenen Sachvortrag der Kläger auseinandergesetzt hat.
[15] aa) Die Kläger haben mit ihren zuletzt gestellten Anträgen zwar die Höhe der ihnen zuzusprechenden monatlichen Geldrenten in das Ermessen des Gerichts gestellt, zugleich aber monatliche Mindestbeträge von 500 € (Kläger zu 1) und 400 € (Kläger zu 2) genannt. Mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2022 haben die Kläger ausgeführt, dass beide Kläger gegenüber der M. unterhaltsberechtigt gewesen seien, dass die verstorbene M. vor ihrem Tod nicht krank gewesen sei, den Haushalt alleine geführt und damit ihrer Unterhaltsverpflichtung genügt habe, dass der Kläger zu 1 allein erwerbstätig gewesen sei mit einer Wochenarbeitszeit von 40 Stunden und einem monatlichen Nettoeinkommen in Höhe von 4.600 €, dass die monatlichen Fixkosten der Haushaltsführung 1.660 € betragen hätten und vom Kläger zu 1 zu 100 % getragen worden seien und dass die Familie in einem gehobenen 3-Personen-Haushalt mit 110 qm Wohnfläche gelebt habe. Der Kläger zu 2, geboren am 3. August 2004, habe sich nicht an der Haushaltsführung beteiligt und seine Schullaufbahn im August 2021 beendet. Vom 1. September 2021 bis 3. August 2022 habe er eine Ausbildung zum Mechatroniker gemacht, während der er 560 € im Monat verdient habe. Diese Ausbildung habe er abgebrochen und arbeite derzeit als Hilfsarbeiter im selben Unternehmen mit einem Verdienst von 1.400 € im Monat. Zum 1. September 2023 werde der Kläger zu 2 eine neue Ausbildung beginnen für eine Dauer von dreieinhalb Jahren mit einem Verdienst von 540 € im Monat. Der Kläger zu 2 wohne weiterhin beim Kläger zu 1 und habe dort auch in der Vergangenheit gewohnt.
[16] bb) Diesen Vortrag hat das Berufungsgericht offenbar aus dem Blick verloren, wenn es moniert, dass der Kläger zu 1 nicht präzisiert habe, ob und wie er und die M. sich die Haushaltsführung aufgeteilt hätten, und dass der Kläger zu 2 nicht vorgetragen habe, ob und in welchem Umfang ihm durch den Tod der Mutter eine unterhaltspflichtige Person genommen worden sei. Soweit das Berufungsgericht darüber hinaus im Rahmen der Zulässigkeit der Leistungsanträge weitere Darlegungen zum Mehraufwand des Klägers zu 1 nach dem Tod der M. verlangt hat, hat es die Anforderungen an die im Rahmen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO darzulegenden tatsächlichen Grundlagen für die Schadensschätzung schlechterdings überspannt.
[17] 2. Die angegriffene Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar, § 561 ZPO. Anders als die Revisionserwiderung meint, war die Klage hinsichtlich der zuletzt gestellten Zahlungsanträge nicht schon deshalb als unzulässig abzuweisen, weil die insoweit von den Klägern in der Berufungsinstanz vorgenommene Umstellung ihrer Anträge von Feststellung auf Zahlung mangels Anschlussberufung der Kläger unzulässig gewesen wäre.
[18] a) Bei der Umstellung von einem Feststellungs- zu einem Zahlungsbegehren handelt es sich um eine Klageerweiterung im Sinne des § 264 Nr. 2 ZPO, wenn sich der neue Antrag auf dasselbe Rechtsverhältnis bezieht (Senat, Urteil vom 12. Mai 1992 - VI ZR 118/91, NJW 1992, 2296, juris Rn. 9; BGH, Urteil vom 16. Mai 2001 - XII ZR 199/98, NJW-RR 2002, 283, juris Rn. 6; BAG, NZA 2022, 713 Rn. 14). Eine solche Klageerweiterung setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Kläger entweder bereits zulässigerweise Berufung bzw. Anschlussberufung eingelegt hat und seinen Rechtsmittelangriff noch erweitern kann oder zum Zeitpunkt der Klageerweiterung noch zulässigerweise Berufung bzw. Anschlussberufung einlegen kann (BGH, Urteil vom 31. August 2022 - VIII ZR 233/21, NZM 2022, 922 Rn. 69 mwN). Will der erstinstanzlich obsiegende Kläger das erstinstanzliche Urteil nicht nur gegen die Berufung des Beklagten verteidigen, sondern die von ihm im ersten Rechtszug gestellten Anträge erweitern, bedarf es folglich im Regelfall der Anschlussberufung des Klägers (vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 2015 - VII ZR 145/12, NJW 2015, 2812 Rn. 28). Dies gilt jedoch nicht, wenn der mit einem Teil seiner Ansprüche erstinstanzlich abgewiesene Kläger insoweit ebenfalls Berufung eingelegt hat und sodann die Klage hinsichtlich des ihm erstinstanzlich zuerkannten Teils erweitert (vgl. Senat, Urteil vom 12. Mai 1992 - VI ZR 118/91, NJW 1992, 2296, juris Rn. 13 mwN). Denn einem Kläger, der mit einem von zwei Sachanträgen voll obsiegt hat und mit dem anderen unterlegen ist, ist wegen der in der Abweisung liegenden Beschwer die Berufungsinstanz eröffnet, dies zwar zu dem Zweck, um sich gegen die Abweisung zu wehren, aber mit der Folge, dass er auch den zuerkannten Anspruch erweitern kann (vgl. BGH, Urteil vom 20. Oktober 1982 - IVb ZR 318/81, BGHZ 85, 140, 143, juris Rn. 9; Beschluss vom 3. Februar 2022 - III ZR 242/20, MDR 2022, 586 Rn. 10). Für eine solche Klageerweiterung in zweiter Instanz gilt § 520 ZPO nicht, weshalb sie nicht an die Begründungsfrist gebunden ist, sondern bis zum Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung vorgenommen werden kann (BGH, Beschluss vom 3. Februar 2022 - III ZR 242/20, MDR 2022, 586 Rn. 10 f. mwN; zum Ganzen Assmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 264 Rn. 7 mwN).
[19] b) Nach diesen Grundsätzen konnten die Kläger, die bezogen auf ihr Begehren zur Feststellung des Rechtsgrundes der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung selbst wirksam Berufung eingelegt hatten, ihre Anträge hinsichtlich des Unterhaltsschadens in der Berufungsverhandlung zu Leistungsanträgen erweitern, ohne dass es hierzu einer wirksamen Anschlussberufung bedurft hätte.
[20] 3. Soweit das Berufungsgericht hilfsweise ("hypothetisch") eine Begründetheitsprüfung vorgenommen und ausgeführt hat, dass die Klage auch in der Sache keinen Erfolg gehabt hätte, gelten diese Ausführungen als nicht geschrieben. Denn wenn das Berufungsgericht - wie hier - die Leistungsanträge der Kläger als unzulässig ansieht, darf es sie nicht daneben oder stattdessen als unbegründet abweisen (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2021 - VIII ZR 190/19, BGHZ 232, 94 Rn. 34 mwN).
[21] Eine vollständige Klageabweisung dürfte bei gebotener Berücksichtigung des (nach den tatbestandlichen Feststellungen des Berufungsgerichts unstreitig gebliebenen) Vortrags der Kläger aber auch in der Sache nicht berechtigt sein. Steht nämlich der geltend gemachte Anspruch auf Schadensersatz nach § 844 Abs. 2 i.V.m. § 1360 BGB (Kläger zu 1) bzw. §§ 1601 ff. BGB (Kläger zu 2) dem Grunde nach fest (vgl. hierzu Senat, Urteile vom 24. April 1990 - VI ZR 183/89, NZV 1990, 307, juris Rn. 8; vom 29. März 1988 - VI ZR 87/87, BGHZ 104, 113, 115, juris Rn. 7; Röthel/Croon-Gestefeld in Staudinger, BGB, Stand: 1. November 2024, § 844 Rn. 132 ff., 165 ff.) und bedarf es lediglich der Ausfüllung zur Höhe, darf die Klage grundsätzlich nicht vollständig abgewiesen werden, sondern muss der Schaden nach § 287 Abs. 1 ZPO geschätzt werden. Zwar ist es Sache des Anspruchstellers, diejenigen Umstände vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, die seine Vorstellungen zur Schadenshöhe rechtfertigen sollen. Versäumt er dies, muss er sich mit einer Mindestschätzung zufriedengeben. Nur wenn nicht einmal eine solche möglich erscheint, weil keinerlei brauchbare Anhaltspunkte auch nur für eine Mindestschätzung dargetan sind, kommt die gänzliche Abweisung der Klage in Betracht (vgl. Senat, Urteil vom 6. Juni 1989 - VI ZR 66/88, NJW 1989, 2539, juris Rn. 10 zum Haushaltsführungsschaden nach § 843 Abs. 1 BGB). Bevor das Berufungsgericht annehmen durfte, dass der Fall so liege, hätte es auf der Grundlage des unstreitig gebliebenen Vortrags der Kläger, wie die Revision unter Bezugnahme auf die Arbeiten etwa von Pardey (Haushaltsführungsschaden, 10. Aufl.; Schulz-Borck/Pardey, Haushaltsführungsschaden - Entgelttabellen, Stand: Januar 2024) zu Recht rügt, im Rahmen seines Schätzungsermessens die Heranziehung eines anerkannten Tabellenwerkes in Erwägung ziehen müssen (vgl. hierzu im Rahmen des § 844 Abs. 2 BGB Senat, Urteile vom 2. Dezember 1997 - VI ZR 142/96, NJW 1998, 985, juris Rn. 23 [in BGHZ 137, 237 nicht abgedruckt]; vom 24. April 1990 - VI ZR 183/89, NZV 1990, 307, juris Rn. 9; vom 29. März 1988 - VI ZR 87/87, BGHZ 104, 113, 117 f., juris Rn. 11; im Rahmen des § 843 Abs. 1 BGB Senat, Urteile vom 2. Oktober 2018 - VI ZR 213/17, NJW 2019, 1082 Rn. 9; vom 22. Mai 2012 - VI ZR 157/11, NJW 2012, 2024 Rn. 21; vom 3. Februar 2009 - VI ZR 183/08, NJW 2009, 2060 Rn. 5).
[22] II. Auch die zulässige Anschlussrevision des Beklagten ist im Ergebnis begründet. Das Berufungsgericht hätte den Anträgen der Kläger, dass es sich bei den Verbindlichkeiten des Beklagten um solche aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung handelt, unter den konkreten Umständen seiner Entscheidung nicht stattgegeben dürfen.
[23] 1. Anders als die Anschlussrevision meint, fehlte es den Klägern allerdings nicht bereits am erforderlichen Feststellungsinteresse.
[24] a) Die Klage auf Feststellung, dass eine Forderung aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung vorliegt, betrifft ein Rechtsverhältnis im Sinne des § 256 ZPO (vgl. BGH, Urteil vom 30. November 1989 - III ZR 215/88, BGHZ 109, 275, 276, juris Rn. 7; Beschluss vom 3. März 2016 - IX ZB 33/14, BGHZ 209, 168 Rn. 23). Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis alsbald festgestellt werde. Ein solches Interesse ist gegeben, wenn dem konkreten vom Feststellungsantrag betroffenen Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und der erstrebte Feststellungsausspruch geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (st. Rspr., vgl. Senat, Urteil vom 5. Oktober 2021 - VI ZR 136/20, NJW-RR 2022, 23 Rn. 15 mwN).
[25] Das Interesse an der Feststellung, eine bestimmte Forderung stamme aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, folgt allgemein aus dem Umstand, dass der Forderungsgrund nicht ohne Weiteres Teil des Titels über den Bestand der Forderung wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. April 2005 - VII ZB 17/05, NJW 2005, 1663, juris Rn. 7; vom 6. September 2012 - VII ZB 84/10, NJW 2013, 239 Rn. 10), sich im Falle einer Forderung aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung aber aus eben diesem Forderungsgrund Privilegien des Forderungsinhabers ergeben können (Senat, Urteil vom 21. Dezember 2021 - VI ZR 457/20, NJW-RR 2022, 566 Rn. 9). Dies ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt etwa für die erweiterten Vollstreckungsmöglichkeiten des § 850f Abs. 2 ZPO oder § 302 Nr. 1 InsO (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2016 - IX ZB 33/14, BGHZ 209, 168 Rn. 23; Urteil vom 2. Dezember 2010 - IX ZR 41/10, ZIP 2011, 39 Rn. 7; Beschluss vom 26. September 2002 - IX ZB 180/02, BGHZ 152, 166, 168 ff., juris Rn. 6 ff.) sowie für das Aufrechnungsverbot nach § 393 BGB (Senat, Urteil vom 21. Dezember 2021 - VI ZR 457/20, NJW-RR 2022, 566 Rn. 10 mwN).
[26] Maßgeblicher Zeitpunkt, in dem das Feststellungsinteresse vorliegen muss, ist die letzte mündliche Tatsachenverhandlung (Senat, Urteil vom 25. März 2025 - VI ZR 277/24, juris Rn. 8; vgl. BGH, Urteil vom 2. September 2021 - VII ZR 124/20, NZBau 2022, 20 Rn. 23 mwN).
[27] b) Nach diesen Grundsätzen folgt das Feststellungsinteresse der Kläger hier, wie von ihnen auch ausdrücklich geltend gemacht, ohne Weiteres bereits aus § 850f Abs. 2 ZPO. Zum insoweit maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der Berufungsverhandlung stand zudem die Entscheidung über den Bestand der mit dem Feststellungsbegehren in Bezug genommenen "Verbindlichkeiten" des Beklagten, nämlich dessen Verpflichtung zum Ersatz des Unterhaltsschadens nach § 844 Abs. 2 BGB, noch zur Entscheidung an.
[28] 2. Die Forderungen der Kläger beruhen auf der zum Nachteil der M. begangenen vorsätzlichen Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) und damit - entgegen der Auffassung der Anschlussrevision - auf einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Beklagten.
[29] a) Die erfolgsqualifizierten Delikte (vgl. etwa § 221 Abs. 3, § 226 Abs. 1, §§ 227, 251 StGB) sind Straftaten mit einem typischen Gefährlichkeitsgehalt, die, wenn sich die im Grundtatbestand angelegte Gefahr verwirklicht, mit wesentlich höherer Strafe bedroht sind als die einfache Tat. Die erfolgsqualifizierten Delikte werden strafrechtlich als Vorsatztat behandelt (§ 11 Abs. 2 StGB), weil ihr Grundtatbestand für sich allein eine selbständig strafbare Vorsatztat darstellt (BGH, Urteil vom 21. Juni 2007 - IX ZR 29/06, NJW 2007, 2854 Rn. 19; vgl. Radtke in MünchKomm, StGB, 5. Aufl., § 11 Rn. 161).
[30] Die genannten Delikte sind geeignet, die Feststellung des Rechtsgrundes der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung zu begründen. Auch wenn der Tod des Opfers nicht vom Vorsatz des Täters umfasst war, hat sich die schwere Folge doch aus der gegen das Opfer vorsätzlich ausgeübten Gewalt ergeben und ist der Geschädigte Opfer einer Vorsatztat geworden (vgl. BGH, Urteil vom 21. Juni 2007 - IX ZR 29/06, NJW 2007, 2854 Rn. 19). Im Unterschied etwa zur Vorsatz-Fahrlässigkeitskombination bei einer vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, Abs. 3 Nr. 1 StGB in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung (vgl. zu einem solchen Fall BGH, Urteil vom 21. Juni 2007 - IX ZR 29/06, NJW 2007, 2854 Rn. 22) wohnt bei der Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) dem Vorsatz der Körperverletzung von vornherein eine Schädigungstendenz zu Lasten des später zu Tode Gekommenen inne.
[31] b) Das Feststellungsbegehren der Kläger lässt sich danach grundsätzlich ohne Weiteres auf die vom Beklagten zum Nachteil der M. begangene vorsätzliche Körperverletzung mit Todesfolge stützen, § 844 i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 227 StGB. Der Beklagte hat sich in Ersatzansprüche der Kläger begründender Weise vorsätzlich gegen die Gesundheit der M. vergangen.
[32] 3. Im Ergebnis zu Recht macht die Anschlussrevision aber geltend, dass das Berufungsgericht nicht hätte feststellen dürfen, es handele sich bei den "Verbindlichkeiten des Beklagten" um solche aus unerlaubter Handlung, wenn es zugleich die Anträge der Kläger hinsichtlich dieser Verbindlichkeiten selbst als unzulässig abweist.
[33] a) Begehrt eine Partei gemäß § 256 ZPO die Feststellung, es handele sich bei einer Forderung um eine Verbindlichkeit aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung, ist Streitgegenstand die Frage, ob ein entsprechendes Rechtsverhältnis zwischen Gläubiger und Schuldner besteht. Das Gericht muss dann klären, ob dem Gläubiger ein materiell-rechtlicher Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung zusteht. Es kann sich nicht darauf beschränken zu prüfen, ob der Schuldner im Hinblick auf die geltend gemachte Forderung vorsätzlich gehandelt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 3. März 2016 - IX ZB 33/14, BGHZ 209, 168 Rn. 23 mwN).
[34] b) Auf dieser Grundlage erweist sich die vom Berufungsgericht ausgesprochene isolierte Feststellung des Rechtsgrundes der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung als rechtsfehlerhaft, weil das Berufungsgericht zugleich die Anträge der Kläger auf Ersatz des Unterhaltsschadens abgewiesen hat.
[35] Das Begehren der Kläger auf Feststellung, dass es sich bei den Verbindlichkeiten des Beklagten um solche aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung handelt, bezieht sich unter den Umständen des Streitfalles auch nicht auf andere, sondern allein auf die im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Ansprüche auf Ersatz des Unterhaltsschadens gemäß § 844 Abs. 2 BGB. Die weiteren Ersatzansprüche der Kläger waren bereits Gegenstand eines früheren Verfahrens, in welchem die Kläger - bezogen auf die dort geltend gemachten Ansprüche - ebenfalls die Feststellung des Rechtsgrundes der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung erwirkt haben.
C.
[36] Die Sache ist daher insgesamt zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Seiters von Pentz Klein
Böhm Linder