BGH, Beschluss vom 3. September 2025 - XII ZB 295/25
BUNDESGERICHTSHOF
vom
3. September 2025
in der Unterbringungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
FamFG §§ 37 Abs. 2, 321 Abs. 1
Wenn in einem Unterbringungsverfahren dem Betroffenen das Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen worden ist, leidet die Anhörung an einem wesentlichen Verfahrensmangel (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom 22. Januar 2025 XII ZB 365/24 FamRZ 2025, 814 und vom 12. Mai 2021 XII ZB 587/20 - FamRZ 2021, 1414).
BGH, Beschluss vom 3. September 2025 - XII ZB 295/25 - LG Wuppertal, AG Solingen
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. September 2025 durch den Vorsitzenden Richter Guhling, die Richter Prof. Dr. Klinkhammer und Dr. Günter und die Richterinnen Dr. Krüger und Dr. Pernice
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 9. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom 10. Juni 2025 aufgehoben, soweit seine Beschwerde gegen die vom Amtsgericht Solingen mit Beschluss vom 11. Juli 2024 ausgesprochene Genehmigung der Unterbringung durch die Betreuerin in der Zeit vom 14. Mai 2025 bis zum 13. Mai 2026 zurückgewiesen worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.
Eine Wertfestsetzung (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.
Gründe:
[1] I. Der inzwischen 61jährige Betroffene leidet seit Jahrzehnten an einer chronischen paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie mit handlungsrelevantem wahnhaften Erleben. Dies führte wiederholt zu schwerer Verwahrlosung und hatte dabei insbesondere eine unzureichende Aufnahme von Flüssigkeit und Nahrung durch den Betroffenen zur Folge. Aus diesem Grunde war der Betroffene seit dem Jahr 2012 mehrfach seit dem Jahr 2019 ununterbrochen geschlossen untergebracht.
[2] Das Amtsgericht hat nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen dessen weitere Unterbringung bis längstens 11. Juli 2026 genehmigt. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat der Senat die Beschwerdeentscheidung aufgehoben, soweit dessen Beschwerde gegen die Genehmigung der Unterbringung über den 13. Mai 2025 hinaus zurückgewiesen worden ist, und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Landgericht zurückverwiesen (Senatsbeschluss vom 15. Januar 2025 XII ZB 517/24 FamRZ 2025, 812). Im weiteren Fortgang hat das Landgericht die Unterbringungsentscheidung nach Einholung eines ergänzenden Sachverständigengutachtens und Anhörung des Betroffenen unter Neufassung der Beschlussformel aufgehoben, soweit die Unterbringung über den 13. Mai 2026 hinaus genehmigt worden ist, und die weitergehende Beschwerde wiederum zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner erneuten Rechtsbeschwerde.
[3] II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, soweit hiermit über die noch nicht aufgrund des Senatsbeschlusses vom 15. Januar 2025 (XII ZB 517/24 FamRZ 2025, 812) in Teilrechtskraft erwachsene Genehmigung der Unterbringung des Betroffenen in der Zeit vom 14. Mai 2025 bis zum 13. Mai 2026 zum Nachteil des Betroffenen entschieden worden ist, und insoweit zur erneuten Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
[4] 1. Die angefochtene Entscheidung hält bereits der von der Rechtsbeschwerde erhobenen Verfahrensrüge nicht stand, dem Betroffenen sei das vom Beschwerdegericht eingeholte ergänzende Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor der Anhörung zur Verfügung gestellt worden.
[5] a) Die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Entscheidungsgrundlage erfordert nach § 37 Abs. 2 FamFG, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Dies setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats voraus, dass der Betroffene vor der Entscheidung nicht nur im Besitz des schriftlichen Sachverständigengutachtens ist, sondern auch ausreichend Zeit hatte, von dessen Inhalt Kenntnis zu nehmen und sich dazu zu äußern. Wenn dem Betroffenen das Sachverständigengutachten nicht rechtzeitig vor dem Anhörungstermin überlassen worden ist, leidet die Anhörung an einem wesentlichen Verfahrensmangel (vgl. Senatsbeschlüsse vom 22. Januar 2025 XII ZB 365/24 FamRZ 2025, 814 Rn. 6 mwN; vom 12. Mai 2021 XII ZB 587/20 FamRZ 2021, 1414 Rn. 7 mwN).
[6] b) So liegt der Fall hier. Denn das vom Beschwerdegericht gemäß §§ 68 Abs. 3 Satz 1, 321 Abs. 1 FamFG eingeholte ergänzende Sachverständigengutachten zu den Voraussetzungen einer weiteren Unterbringung ist dem Betroffenen ausweislich des Anhörungsvermerks erst im Anhörungstermin ausgehändigt worden. Dieser hatte damit keine ausreichende Gelegenheit, dessen Inhalt zur Kenntnis zu nehmen, sich hiermit auseinanderzusetzen, eine etwa gewünschte Stellungnahme vorzubereiten und Einwendungen hiergegen zu erheben. Anderes gilt auch nicht deshalb, weil das Gutachten bei der Anhörung eingehend mit dem Betroffenen erörtert worden sein mag. Denn eine solche Erörterung macht die rechtzeitige Aushändigung des Gutachtens zur Ermöglichung einer detaillierten Kenntnisnahme und einer Auseinandersetzung mit dessen Inhalt nicht verzichtbar.
[7] 2. Die angefochtene Entscheidung kann daher, soweit mit der Rechtsbeschwerde erneut angegriffen, keinen Bestand haben. Die Sache ist in diesem Umfang gemäß § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Landgericht zurückzuverweisen.
[8] Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.
Guhling Klinkhammer Günter
Krüger Pernice